Kreativität, Flexibilität und Eigeninitiative sind zur Grundlage einer neuen Arbeits- und Lebensphilosophie geworden. An die Stelle von Disziplin und Regelkonformität ist individuelle Selbstverwirklichung getreten. Die Freiheit des eigenen Handlungsspielraumes erscheint grenzenlos. Tatsächlich aber erweist sich die Selbstverwirklichung nicht nur als Möglichkeit, sondern als Pflicht, denn kreative Leistung unterliegt dem Diktum ökonomischer Verwertungsprozesse. Da es gilt, die eigene Persönlichkeit zu Markte zu tragen, kommt der Vereinnahmung des Individuums eine neue Qualität zu. Die Forderung nach Selbstsein beeinflusst zunehmend die menschliche Psyche: Durch permanentes Zurschaustellen authentischer Fähigkeiten stellt sich ein Erschöpfungszustand ein, der das persönliche Schaffen infiltriert und korrumpiert.
›Corporate Fatigue‹ spürt Symptomen deregulierter Kapitalströme, Zwangsidentifikation und ganzheitlicher Ermüdungserscheinungen nach.
›Corporate Fatigue‹ sucht nach dem fragmentierten Selbst in sich verändernden sozialen, kulturellen, räumlichen und zeitlichen Beziehungsgeflechten.
›Corporate Fatigue‹ sind suspekte Künstlersubjekte und andere Ruinen konstruierter Individualität.
mehr lesenNelly Haliti zeigt kleinformatige Malereien, deren subtraktives Vorgehen, Appropriation und Überführung, nicht nur die Frage nach künstlerischer Originalität thematisieren, sondern zugleich die Forderung nach individueller Authentizität befragen.
Thomas Julier zeigt eine Serie von Fotografien, die dieses Jahr während Ausstellungsbesuchen in Museen in Italien entstanden sind. Die Bilder widerspiegeln fortwährendes Oszillieren zwischen dem wandernden Auge und der im Gedankenraum kreisenden Frage: was wäre wenn? Im Ausstellungsraum werden sie zu Stellvertretern derjenigen Bilder, die einst hier hingen, oder die diese Räume künftig zieren werden. Bilder zur Präsenz und Absenz anderer Bilder. Bürodekoration und Museumsinventar.
Die Arbeiten von Nick Oberthaler thematisieren das Verhältnis von Präsentation und Repräsentation in der Malerei indem sie sich verschiedener Methoden der Fragmentierung und Rekombination von einzelnen formalen Elementen bedienen und diese wieder zur Disposition stellen. Ein Titelblatt der Frankfurter Rundschau mit einem Leitartikel zur Generation Abwärts bildet die motivische Grundlage für eine Serie, die den aktuell vorherrschenden Blick der Gesellschaft auf sich selbst aufgreift und in einen veränderten Erfahrungshorizont überführt.
›Picnic Blanket‹ (›Wasting Time‹) des Künstlerkollektivs Jochen Schmith besteht aus geschredderten Geldscheinen auf Hosentaschenstoff und zeigt die kartografische Darstellungen eines Parks, der im Rahmen von Privatisierungsmaßnahmen dem allgemeinen Zugang entzogen wurde. Der Titel der Arbeit verweist auf die Aussage einer Umfrage über Freizeitgestaltung. Während die Picknickdecke die Marginalisierung des öffentlichen Raumes anzeigt, verändert die Arbeit ›Ohne Titel“ die Wahrnehmung maßgeblich. Natriumdampflampen, die bis dato im Straßenverkehr Verwendung fanden, erhöhen das Kontrastsehen, vermindern allerdings das Erkennen von Farben. Die Überführung Schmiths dieser in den Ausstellungsraum entrückt die Gegenstände im Raum und lässt ihre Oberflächen fahl erscheinen, was dem Diktum ständiger Expression grundlegend widerspricht. Der Entwurf zu einem Plakat hat die neoliberale Forderung nach Flexibilität und Kreativität zu Thema, indem es eine “Jobannonce” aufgreift, durch die die normativen Vorstellungen von Glück und Erfolg überspitzt zum Ausdruck kommen.
Andrea Winklers raumgreifende Installation ›Short Lets Considered (corporate fatigue)‹ thematisiert die Transformation des öffentliches Raumes: Ihr Szenario berichtet von Kontrollmechanismen und Sicherheitsvorkehrungen. Hierin tauchen Skulpturen auf, modifizierte Motorradhelme, Handtaschen oder auch Koffer – Fetischobjekte einer Gesellschaft, deren Begierden sich an Waren entzünden. Die Objekte und Räumen von Winkler verweisen auf die Organisation, Disziplinierung und Kontrolle der Öffentlichkeit, indem sie stets die Abwesenheit von Gemeinschaft spiegeln.
Text: Nadine Droste & die KünstlerInnen
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