Die Ausstellung zeigt Fotoarbeiten von sieben österreichischen Fotokünstlern, die eingeladen wurden, mit ihren fotografischen Arbeiten in einen Dialog mit Walter Serners legendärem Dadaistischem Manifest ›Letzte Lockerung‹ zu treten.
Serners Buch ist eine ebenso zynische wie hochvergnügliche Absage an die Werte einer bürgerlichen Welt, deren Sein und Schein für ihn in unauflöslichem Widerspruch steht. Das Buch ist aber auch ein Plädoyer für ein von gesellschaftlichen Konventionen befreites Leben voller Abenteuer und Überraschungen: ein Buch, in dem die Welt Kopf steht, ein Hund eine Hängematte ist, Weltanschauungen Vokabelmischungen sind und an dessen Ende Serner dem Kosmos einen Tritt verpasst.
Die Fotografen Gerd Hasler, Markus Krottendorfer, Paul Albert Leitner, Rita Nowak, Agnes Pammer, Hanna Putz und Anita Schmid wurden eingeladen, sich auf eine poetisch-fotografische Reise durch die anarchische Welt des Walter Serner zu begeben, deren Zutaten zynische Apercus, elegante Nadelstreifhosen, Monokel und Spazierstock, ungedeckte Schecks und venerische Erkrankungen, Demi-monde und abgelegte Mätressen, gefälschte Biografien und dadaistische Provokationen, nazionalsozialistischer Hass und schlussendlich die Abreise aus dem eigenen Leben bilden.
mehr lesenDer Literaturwissenschaftler Jörg Drews bezeichnet ›Letzte Lockerung‹ als ›eine glänzende Analyse des Zeitalters des vollendeten Nihilismus‹, ein Werk,das jeden schlechten Geschmack nach Moralität meidet, Ideologie, Religion und Kunst als eitle Eseleien entlarvt und Staatsmänner als Gauner ›en gros‹ brandmarkt. Serner erweist sich mit ›Letzter Lockerung‹ als sprachmächtiger Provokateur, der niemanden, nicht einmal sich selbst, schont, wenn er schreibt: ›Die letzte Enttäuschung? Wenn die Illusion, illusionsfrei zu sein, als solche sich herausstellt.‹ 1927 folgt der 2. Teil des Buches, seine praktischen Handlungsanleitungen für Hochstapler.
In der Ausstellung geht es weder um eine Visualisierung von Serners Buch oder gar um eine kohärente Erzählung zu Serners Leben und Welt, sondern durch die von den Künstlern ausgewählten oder für die Ausstellung gemachten Werken um künstlerische Assoziationen zu Serners Provokationen, Thesen und Themen und gleichzeitig um eine Vorstellung der Künstler, ihres Werkes und ihrer Haltung. Ideal für das Projekt erwiesen sich dabei die Räume des Neuen Kunstvereines im Hochhaus, deren Unprätentiosität und Alltäglichkeit dem Projekt eine starke Unmittelbarkeit und Dichte verleihen.
Den Auftakt der Ausstellung bildet Agnes Prammer mit ihrem hübschen Jüngling, der in klassisch würdigem Rahmen an ein neusachliches Portrait von Christian Schad erinnert, Serners engstem Freund, der ihn immer wieder in unterschiedlichen Posen, u.a. als Heiligen Sebastian oder als Vorbild für einen Christuskopf abbildete. Anita Schmid führt uns mit ihren subtilen Aufnahmen von eleganten Interieurs (dem Modegeschäft Knize mit einem eleganten Unbekannten und einem Gästezimmer des Looshauses, auf dessen Bett sich ein unerkannt bleibender junger Mann wie nach einer durchlebten Liebesnacht wohlig räkelt) in die Atmosphäre der Salons und Hotels, die Serner und die Halbweltfiguren seiner Romane frequentierten.
Rita Nowak stellt sich mit ihren Arbeiten dem Phänomen des Dandytums und seinen narzisstischen Spiegelungen, indem sie Bekannte, Freunde oder einfach außergewöhnliche Menschen vor die Kamera bittet und sie animiert ihr Persönlichkeitspotential in möglichen Rollen auszuleben und sich in neuen Identitäten zu erproben. Dabei verweist sie auf Serners Rollenspiele und Camouflagen.
Markus Krottendorfer stellt der Welt der Dandies, Verführer und Tricksters sein Bild eines Observatorium gegenüber. Das Bild entstammt seiner Sammlung von Fotografien von einigen der wichtigsten Observatorien in der Geschichte der Astronomie. Die Teleskop Fotografie ist auch als Analogie direkt zur Fotografie zu interpretieren, da diese Gebäude überdimensionale Fotoapparate sind. Gleichzeitig thematisiert er den Blick nach Außen in unbekannte Welten. Serners Leidenschaft und auch die vieler seiner Figuren gilt der ›Observation‹. Am Anfang der ›Letzten Lockerung‹ sieht er die Welt von anderem Stern aus: ›Um einen Feuerball rast eine Kotkugel, auf der Damenseidenstrümpfe verkauft und Gauguins besprochen werden, ein fürwahr überaus betrüblicher Aspekt, denn Damenseidenstrümpfe können genossen werden, Gauguins nicht.‹
Hanna Putz besetzt im wahrsten Sinn des Wortes mit zwei großformatigen Bildern ein kleines Kabinett der Wohnung und mit einem Frauenportrait die Küche. Man sieht Menschen in Interaktion, die Welt von Motorradrennen, Rennfahrerinnen in Lederkluft, ein Kampfhund bilden das Setting für mittlerweile von Frauen besetzte Männlichkeitsdomänen und – rituale . Die ›femme fatale‹, die Serner als einen Widerpart und weiblichen Gegenpol zum Dandy suchte und fand, ist gesellschaftliche Normalität.
Gerd Hasler untersucht mit seinen fotografischen Arbeiten das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit. Dabei weichen narrative und ortsspezifische Elemente reduzierten, generellen, ins abstrakte tendierenden künstlerischen Aussagen. Hasler geht es nicht um eine Landschaft, sondern um die Landschaft an sich, nicht um ein Bild, sondern um das Bild an sich. Hasler zitiert Serners Satz: “Dramatisiere nie, vereinfache immer”. Sein Bild einer verschwindenden, sich auflösenden Realität fügt sich in Serners Strategien der Selbstauslöschung, der mit Serners Verschwinden aus dem eigenem Leben ihren biographischen Ausdruck fand. Serner dekretiert hierzu: ›Sei mehr als du, sei nichts. Dann bist du alles.‹
Anita Schmid begegnet Haslers fotografisch malerischer Auflösung der Welt mit einem fast skulptural wirkenden in grelles Weiß getauchten weiblichen Torso, dessen rot eingefärbte Brustwarze mit einer Serner Sentenz des praktischen Handbuches korrespondiert: ›Halte Frauen, die sich die Brustwarzen schminken (…) nicht für leichte Beute, sie dürften sehr anmaßend oder sehr geldgierig sein.‹ Ein Frauenportrait, das an eine Madonna erinnert, komplettiert den nackten Frauenkörper?
In einem weiteren Raum zeigt Anita Schmid ihre Spiegelarbeiten, in denen Menschen einen Spiegel vor ihr Gesicht halten und statt ihre Identität zu verraten, ihre Umwelt spiegeln. Hanna Putz stellt Schmids Arbeit sequenzhafte Ausschnitte menschlicher Szenen und Körper gegenüber. Mit ihren Arbeiten thematisieren sie die Komplexität von Identitätskonstruktionen und -fragmentierungen und verweisen damit auf Kernfragen des Sernerschen Werkes und Lebens.
In einem seiner letzten Texte, einen Brief an seinen Verleger Paul Steegemann schreibt Serner: ›Dichtung ist und bleibt ein, wenn auch höherer, Schwindel. Ich lege Wert darauf, das zum ersten Mal ausgesprochen zu haben. Menschen gestalten, heißt: sie fälschen.‹
Krottendorfers Arbeit aus der Serie ›Garzweiler II‹ zeigt eine Weltvernichtungsmaschine, einen Schaufelradbagger in einer Braunkohlemine in Deutschland. Dieser Bagger dient dazu die Landschaft und Felder abzugraben bis die Kohle unterhalb zum weiteren Abbau hervorkommt. Die Oberfläche der Welt wird unwiederbringlich einfach aufgefressen. Paul Albert Leitner fertigt aus Fotografien und Texten auf Pappkarton eine fotografische Installation. Dabei inszeniert er sich selbst als Reisender, der ständig unterwegs die Grenzen zwischen Nähe und Ferne, Realität und Irrealem, Normalität und Absurdität aufhebt, den biographischen Tricks und Verfälschungen Serners fügt er seine Spekulationen über Serner hinzu.
Krottendorfer stellt sein ›Perspektiv‹ oder auch ›Das Ende der Welt‹ genannt, das sich im barocken Schlossgarten in Schwetzingen befindet, Haslers Weltauflösung gegenüber. Zu sehen ist ein Blick durch einen halbrund geschlossenen Laubengang in einer dunkle Grotte auf eine von Sonnenlicht beleuchtete Wandmalerei, die eine ferne idyllische Flusslandschaft darstellt.
Diese idealisierte Landschaft sollte damals die Sehnsucht nach der heilen Welt ausdrücken. Einer Welt, deren Bedrohungsszenarium auf einem weiteren Foto Krottendorfers in einem atomaren zu einem Kunst- oder Designobjekt stilisierten Sprengkopf gipfelt. In einem kleinen fensterlosen Raum präsentiert Rita Nowak einen Mann im dunklen Anzug der eingezwängt in einem Türstock steht. Die Antwort auf die Frage, ob er für die Welt zu groß ist oder ob die Welt für ihn zu klein ist, bleibt offen
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